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Jo Kyung Ran Zeit zum Toastbacken
Aus dem Koreanischen von Jung Young-Sun und Herbert Jaumann. Bielefeld (Pendragon) 2005
„War es ein Pigmentfleck? ... Ich fand ihn ziemlich lästig.“ Yochin geht auf die dreißig zu und besucht mit ihrer Tante eine Badeanstalt. Fünfzigjährige Frauen mit hängenden Bäuchen sind nicht ihr Fall. Ihr Tante aber ist achtundvierzig und Yochin findet, sie habe sich gut gehalten. Sie kann sie trotzdem nicht leiden. Und wenn man jemand aller Mühe zum Trotz nicht mag, „dann soll man es eben sein lassen“, findet sie. Als sie dann noch einem hilflosen Kind mit Down-Syndrom voller Häme und Neugier das Getränk wegschupst, ist die Ouvertüre dieser Erzählung beendet und ein Hoppla-Gefühl stellt sich. Wer ist dieses redselige Biest? Die Autorin Jo Kyung Ran ist Teil dessen, was man den gender turn in der literarischen Szene der 1990er Jahre in Südkorea nennen könnte. Diese Entwicklung etabliert Räume und Sichtweisen von Frauen in einem zumeist urbanen Kontext und hinterfragt den angestaubten politisch-gesellschaftlichen Common Sense durch die schonungslose Analyse sozialer Isolation und das Beharren auf persönlicher Freiheit. Jo, die nach verpatzter Aufnahmeprüfung zur Universität zunächst sechs Jahre deprimiert zuhause verbrachte, bevor der literarische Erfolg einsetzte, präsentiert sich selbst als Symptom und Verkörperung der von ihr beschriebenen Isolation. Yochin, das Biest in der Badeanstalt, entpuppt sich als eine junge Frau, die nicht weiß wohin und um ihr Gleichgewicht kämpft. Sie hat allen Grund dazu. Ihre Primärbeziehungen zu Vater, Mutter und Tante sind kalt, die Begegnung mit einem jungen Mann endet mit dessen unangekündigter Abreise. Die Mutter hat Krebs. Als sie stirbt, dauert es noch ein Jahr, bis sich ihr Vater das Leben nimmt. „Die Art und Weise gefiel mir nicht besonders ... Der Zeitpunkt ebenso wenig ... Mein Vater hatte mich nun endgültig im Stich gelassen.“ Es ist dieser „Sound“ in Jos Erzählung, der von Anfang an am Leser zieht und gefangen nimmt. Vielleicht ist er Ausdruck jenes träge melancholischen und zugleich messerscharf präzisen Blicks, mit dem die Protagonistin Yochin ihre Umgebung auf Distanz hält. Als sie ihren Liebhaber kennen lernt, vermeint sie, in ihm einen kaltherzigen Menschen zu erkennen „bei aller Delikatesse und Weichheit seiner Gesichtszüge.“ Sie gewinnt diesen Eindruck aus der Betrachtung seines Profils. Die „Schauseite seines Gesichts“ oder gar „Gespräche“ verbergen solche Erkenntnisse eher. Die Einsamkeit wird zum alltäglichen Modus dieser Beobachtungen. Doch es plaudert weiter, es beobachtet und: es backt! Yochin backt sich nämlich ihren Trost selbst! Und Leckereien vorwiegend der französischen Art mutieren zu Kapitelüberschriften. Es gibt eine Stelle, an der das Abschreiben des Rezepts schwer fällt: „Apple pie wird folgendermaßen gebacken: 1. Die Backform einfetten und mit Mehl bestreuen. Warum er sich für diese Todesart entscheiden musste? 2. Für den Teig das Mehl mehrmals durchsieben. In diesem Jahr ist er sechsundfünfzig geworden.“ „Sei ohne Sorge“ hat das einmal bei Ingeborg Bachmann geheißen ... Doch all das ist immer noch nicht alles und Yochin, die gegen das männliche Suchen-Hängen an den Erinnerungen nach dem Motto lebt: „Man muss eben vergessen, was man bereits verloren hat“, wird am Ende von einer Nachricht getroffen, die man ihr nicht wünschen kann. Und doch scheint es, als überwinde sie jetzt erst und werde in einem gewissen Sinne frei. Sie, die bereits als Kind keine Lust hatte, sich in die Welt hinter den Fensterscheiben „tatsächlich hineinzubegeben“. Sie erlebt diese Freiheit auch als Freiheit gegenüber ihrem eigenen Körper. Korrigiert dies und das. Den Pigmentfleck lässt sie sich entfernen. Das Muttermal. Doch sie wird weiter warten. „Auch jetzt in diesem Augenblick warte ich auf jemand.“ Bis der Elefant in ihr Schlafzimmer kommt?* Jo wird weiterschreiben an ihrer Kommunikation mit „meinen mir total unbekannten Lesern“.
Martin Wolf
* "Wie kommt der Elefant in mein Schlafzimmer?" lautet der Titel einer Erzählung der Autorin, die ebenfalls auf Deutsch erschienen ist.
Pendragon Verlag im Internet
Erschienen in der Herbstausgabe der »Literaturnachrichten«
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Text & Bild: Martin Wolf
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