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Hwang Sok-Yong Der ferne Garten Kann Erinnerung den Riss im Gewebe der Zeit schließen? Als er 1999 frei kommt, ist es, als nähme Yunhi ihn an der Hand und lasse ihn teilhaben an ihrem Leben bis zuletzt. Er geht zurück nach Galmö. Yunhi hatte das Haus kurz vor ihrem Tode auf ihren und seinen Namen gekauft, damit er hier, in einer Zone, die nur ihnen gehört, seine Zeit mit der ihren verwebt. „Wieder bekam ich Lust mich mit Yunhi zu unterhalten und schlug ihr Tagebuch auf.“ Darin erzählt sie ihrem Geliebten von der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter Ungyol. Yunhi beginnt ein Kunststudium in Seoul. Dort gerät sie in Aktivistenkreise, erlebt den politischen Frühling des Sommers 1987 und trifft Youngtae, den „Fundi“ aus begütertem Hause. Als sie nach Berlin geht, scheint das Leben leichter zu werden. Sie begegnet ihrer späten Liebe, dem „Realo“ und Umwelttechniker Hisu, wird an der Akademie der Künste angenommen und erlebt die Öffnung der Berliner Mauer. Doch als Youngtae, der mittlerweile in Göttingen studiert, zu Besuch kommt und fragt, ob Sie Hisu wirklich liebt, „merkte ich, dass Du wieder in mein Herz zurückgekehrt warst.“ Hisu stirbt wenig später bei einem Autounfall. Yunhi und Youngtae fahren gemeinsam mit der Transsibirischen Eisenbahn zurück. Eine letzte Reise für beide. Als Youngtae in Chabarovsk abtaucht, ahnt sie, dass er nach Nordkorea geht. „Erst nachdem ich den ganzen nächsten Tag allein in dieser fremden Stadt zugebracht hatte, war ich mir sicher, dass er von Anfang an sein eigenes Ziel gehabt hatte.“ Damit schließt sich der Kreis und berührt jenes Ende in Galmö, als der Mann, den sie liebte, sie um des politischen Kampfes willen verließ. „Dir geht es um eine Welt, von der du aus Büchern erfahren hattest ... Mir geht es nicht um Ideologien, sondern darum, dass du nur bei mir bist.“ In diesem Roman des Schriftstellers und Aktivisten Hwang Sok-yong wird die Künstlerin und Geliebte Yunhi zur Verkörperung einer Sehnsucht nach anderen Prioritäten, nach den kleinen Dingen, nach Alltag. In der Begegnung mit den Protagonisten des politischen Kampfes und gebündelt in dem filmreifen Finale ihrer Auseinandersetzung mit Youngtae in einem Eisenbahnzug irgendwo zwischen Ural und Amur legt sie den Finger in die Wunde und fragt nach den zwischenmenschlichen Kosten dieses Kampfes, nach der Unmenschlichkeit derer, die recht hatten. Hyunuh, der im Gefängnis Gemüse anbaut und seine Lieblingstaube füttert, kommt auf seine Weise zu dieser Erkenntnis. „Gibt es noch etwas, das ich tun könnte? Vielleicht, mich mit dem Alltag auseinanderzusetzen.“ Hwang schreibt das Denkmal einer ganzen Generation mit diesem Roman, der aufgrund seiner bemerkenswert kraftvollen und stimmigen Milieus nach einer Verfilmung förmlich schreit. Um die Zensur auszutricksen, so sagte Hwang einmal, habe er „geschrieben, wie man Billard spielt, unsere Metaphern haben wir über drei Bande laufen lassen.“ In ähnlicher Weise dürfte mehr als jemals zuvor Hwangs eigene Biografie über drei Bande in dieses Werk Eingang gefunden haben. Martin Wolf
Erschienen in »Literaturnachrichten« |
Text & Bild: Martin Wolf Zitate nur mit Quellenangabe Weiterveröffentlichung/ © namsan.media 2005 |