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Kim Dongni Ulhwa, die Schamanin
Übersetzt von Kim Sun-Hi und Edeltrud Kim. Bielefeld (Pendragon) 2005
Im Jahr 1936 schreibt der damals 23-jährige Kim Dongni die Erzählung Schamanengemälde. Ort der Handlung ist die Gegend um seine Heimatstadt Kyongju, historisches Zentrum des koreanischen Schamanismus und einst Sitz des von Schamanen regierten Sorabol-Reiches. Wir befinden uns in der Zeit der japanischen Besatzung Koreas (1910-1945). Obwohl die Ereignisse in der damaligen Gegenwart spielen, beginnt und endet diese Erzählung mit einem Schamanengemälde, ein Bild, dessen Betrachtung die Handlung gewissermaßen erzeugt. Der 1978 veröffentlichte Roman „Ulhwa, die Schamanin“ geht auf diese Erzählung zurück, die bereits damals einer handkolorierten Fotografie ähnlich, auf die Gegenwart zurückblickt. Geschildert wird die dramatische Auseinandersetzung der bekannten und äußerst beliebten Schamanin Ulhwa mit ihrem Sohn Yongsul. Sie wähnt diesen im buddhistischen Kirim-Tempel, wohin sie ihn vor nunmehr 10 Jahren zur Ausbildung geschickt hat. Doch Yongsul kommt zurück. Mitgebracht hat er eine Überraschung und eine Zumutung: Er ist protestantischer Christ geworden und er hat die feste Absicht, die armen Seelen seiner Mutter und seiner Schwester zum Herrn zu bekehren. Neue Religion („Christentum“) und traditionelle Volksreligiosität („Schamanismus“) prallen in Gestalt von Sohn und Mutter so unversöhnlich aufeinander, dass ihre Gefühle füreinander vom Fanatismus der Überzeugungen allmählich aufgefressen werden. Kim entwickelt hier so etwas wie eine Versuchsanordnung. Der Mitbegründer der literarischen Bewegung „Dichterdorf“ interessiert sich für die Wirkung der damaligen interreligiösen Auseinandersetzungen auf das alltäglichen Miteinander einer dörflich geprägten Kultur. Der Roman schildert die zwischenmenschlichen Verhältnisse überaus anschaulich und mit einer immer wieder fast soziologisch anmutenden analytischen Kraft. So macht der Lebensweg Ulhwas, die von ihrer alleinerziehenden Mutter in bescheidensten Verhältnissen durchgebracht wird, deutlich, welcher Zuwachs an Prestige und Freiheit für sie als Frau mit dieser Position verbunden ist. Sie ist materiell unabhängig und kann daher auch die Beziehung zu Männern nach ihrem eigenen Willen gestalten. Andererseits sind ihre Kinder sozial geächtet. Yongsul geht ins Kloster, weil ihm der Zugang zur Dorfschule verwehrt ist. Und Tochter Wolhi kann nur heiraten, weil dieses „Mondgesicht“, von berückender Schönheit ist. Den Einbruch des Christentums in ihre Welt erlebt die ansonsten durch nichts zu erschütternde Ulhwa als Schock. Zu diesem Schock trägt natürlich bei, dass Yongsul seinen Herrgott mit demselben Begriff bezeichnet („hananim“), den sie in ihren Zeremonien für den altkoreanischen Herrscher im Himmel verwendet. Umgekehrt sieht Ulhwa in dem Sohn Gottes ein Kind der Gott-Geister, wie sie selbst eines ist, mithin einen Schamanen. Nun ist es Yongsul, der protestiert. Gegen Ende des Romans kommt es zu einer überraschenden Wendung, als Yongsul in der Kirchengemeinde auf die Familie seines Vaters trifft, die ihn, den Sohn einer Schamanin, bis dahin verleugnet hat. Yongsul wird adoptiert und ins Familienregister eingetragen. Er ist ab sofort Funktionsträger und Teil eines mächtigen sozialen Netzwerks. Das entfernt ihn von seiner Mutter, ein Vorgang, der in ihm erkennbare Konflikte hervorruft. Ulhwa lassen diese Entwicklungen nicht unbeschädigt. Dass sie, die bewunderte Täterin, allmählich zum Opfer wird, treibt sie zu einer wahren Verzweiflungstat. Kim beschreibt den Schamanismus seiner Zeit als eine Kultur, die aufgrund ihrer „Events“ geschätzt, sozial jedoch zunehmend an den Rand gedrängt wird, bis hin zu jenen Schamanen, die von reichen Städtern abhängig beschäftigt werden. Ulhwa wird zur tragischen Ikone einer Zeit, in der sich unter dem Winterkleid der japanischen Besatzung bereits die Heraufkunft der neuen Götter der koreanischen Moderne abzeichnet. In der präzisen sozialen und emotionalen Verortung des religiösen Dramas zwischen Mutter und Sohn liegt der eigentliche Gewinn dieser Lektüre zu einem Thema, das wir wohl nicht los werden.
Martin Wolf
Pendragon Verlag im Internet
Erschienen in »Literaturnachrichten«
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Text & Bild: Martin Wolf
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