Jo Kyung Ran

Yi Cheong-Jun

Kim Dongni

Anna Kim

Hwang Sok-yong

KIM Chi-Ha

Yi Munyol

An Maru Space for Literature

Theaterstück »Reise«

Anna Kim – Die Bilderspur

Graz - Wien (Literaturverlag Droschl) 2004

Wie fremd ist Fremdsein, solange da einer ist, der versteht? Ein koreanischer Künstler kommt mit seiner Tochter nach Wien. Er ist auf sie angewiesen. „Kein Fuß vor die Tür ohne K. wie Kind begleite ich Vater als Schattenspion, Heimlich-Übersetzer, Wanderstab“. Denn er ist fremd und „sein Grinsen erstirbt, bevor man die Lust an dem Spiel verliert, das der Fremde mit Fremdsein verdirbt.“ Währenddessen hat die Tochter eigene Ansichten. „Vor dem Fenster wringt es Wolken, in die Lachen fallen Flammen, Edith bessert mich aus, Tropfen, ich widerspreche: Als würden Flammen im Loch ertrinken, ich zeichne sie auf, Edith versteht nicht.“ Verstehen wir? „Ich erzähle Vater von fallenden Flammen in Lachen, ich zeichne sie auf, Vater versteht.“ In Anna Kims Debütroman „Die Bilderspur“, der weder übersetzt noch von der koreanischen Literaturförderung bezuschusst werden musste, da die 1977 in Taejon geborenen Autorin auf Deutsch schreibt und inzwischen die österreichische Staatsbürgerschaft erworben hat, kämpft „K. wie Kind“ um das Recht auf die eigene Bilder und beginnt bei dem, der sie versteht, mit dem „Üben der Vatersprache“. Diese besteht aus Pinselstrichen und das „Teppichnest“, welches er in seiner Malstube für sie frei räumt, ist so etwas wie der Uterus ihrer Welt- und Sprachaneignung in Abwesenheit der Mutter. „Betrachtet er Landschaft, betrachte ich Landschaft in ihm.“ Doch dieses kleine Paradies im Exil bekommt Risse, als der Vater beginnt, zwischen den Kontinenten hin- und herzupendeln. Edith, die keine Bilder versteht, möchte nur Vater und Mutter sein, doch die Tochter will keinen Abschied. Bei der Ankunft des Vaters am Flughafen dreht sie ihren Signalpullover in alle Richtungen. Später erkrankt der Vater schwer. Für die Tochter wird die Erfahrung der Entfremdung von ihm nun unabweisbar. „Ich hätte gesagt, stets stirbt der Fremde, nie der Nächste, hätte ich gewusst, in welcher Sprache“; der vielleicht erschütterndste Satz des ganzen Buches. In ein doppeltes Exil geworfen begibt sie sich auf Spurensuche in seinen Bildern. Doch selbst im Zustand der Entfremdung voneinander scheint es, dass dieses Paar bis zum Ende aneinandergekettet bleibt, weil ein Abschied nicht möglich ist. In der Coda des Romans kommt es zu einer Aufspreizung, die ein mögliches Loslassen andeutet. Der Vater beschließt nach einem weiteren Schlaganfall ein Abschiedsfest mit einer traditionellen Herbeirufung der Geister der Ahnen (die einzige koreanische Szene des Romans). Die Tochter aber hat Keyser, einen farbenblinden Sterngucker, kennen gelernt, dem der Vater am Ende direkt ins Gesicht schaut. Das kommt nach allem, was geschehen ist, einer kleinen Revolution gleich. Anna Kim hat an diesem Werk lange gefeilt. Herausgekommen ist eine präzise durchkomponierte und sprachschöpferisch höchst originelle Erzählung, welche die Erfahrung der Fremdheit über das Geschehen hinaus semantisch erlebbar macht. Die Beweglichkeit, welche der deutschen Sprache hier erschlossen wird, ist das erstaunliche Ergebnis eines Prozesses, der einmal mehr belegt, dass sprachliche Freiheitsgrade auch dadurch erworben werden, dass man Fremdheit um der eigenen Poesie willen erträgt. Dann ist das Fremdsein erwachsen geworden.

Martin Wolf

Literaturverlag Droschl im Internet

Erschienen in »Literaturnachrichten«

Text & Bild: Martin Wolf

Zitate nur mit Quellenangabe

Weiterveröffentlichung/
Wiedergabe von Artikeln
nur nach Rücksprache

© namsan.media 2005